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Tradition

In vielen Belangen beruft man sich gern auf altes Herkommen: Das war immer schon so! Dieses Bewusstsein für die Tradition und deren große Legitimationskraft haben eine konfessionelle Wurzel.
Sola scriptura: Nur die Bibel, argumentierte Luther, die heilige Schrift, sei maßgeblich, um theologische Fragen zu beantworten. Die katholische Kirche hielt dieser Forderung den Hinweis auf die traditio entgegen; und so wurde es 1546 dann auf dem Trienter Konzil auch beschlossen.
Gerade im katholischen Bayern muss es auffallen, dass man in der Liedpflege dem Überlieferungsmythos alt ist gut allein nicht vertraute. Nein, in der Liedpflege musste ein Lied erst aufgezeichnet werden, ehe es als erhaltenswert anerkannt wurde. Erst mit der schriftlichen Fixierung der Überlieferung – et scriptura et traditio – setzte die pflegerische Kanonisierung des Liedrepertoires ein.
Die mediale Fixierung (in Liederbüchern oder auf Tonträgern) führte im 20. Jahrhundert schließlich zu einer Illusion von Tradition, denn nun konnte ein (gedrucktes) Lied über mehrere Generationen in Gebrauch bleiben. Bis zu dieser Blütezeit des Historismus waren Lied- und Vokalmusik-Repertoires – soweit man dies musikhistorisch dokumentieren kann – selten länger als zwei Generationen (etwa 50 Jahre) in Gebrauch.

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